„Wir brauchen einfach mehr Mut“

Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), geht im Interview der Börsen-Zeitung darauf ein, worauf es in Sachen Transition Finance in den nächsten Jahren an den Finanzmärkten ankommt.

Werner Hoyer
Photo : Caroline Martin ©

Herr Hoyer, wie definieren Sie aus Sicht der Europäischen Investitionsbank Transition und Transition Finance zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Wir müssen zwei Entwicklungen genau im Blick behalten. Das zeigen die vielen Berichte zum Klimawandel einerseits und zum Greenwashing andererseits. Was passiert denn eigentlich an der Klimafront, und welche Fortschritte haben wir in den vergangenen Jahren gemacht, und welche nicht? Und haben wir wirklich begriffen, wie ernst die Lage ist? Die Europäer gehen jedenfalls die ersten Schritte in Richtung europäische Klimaneutralität. Gleichzeitig muss Europa aber auch begreifen, wie wichtig die europäische Integration als Instrument der Selbstbehauptung in der Globalisierung ist. Und da muss man feststellen, dass unsere Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen ist. Wir haben ein riesiges Innovationsproblem in Europa verglichen mit unseren globalen Partnern, vor allem, weil unsere Investitionen seit Jahren hinter denen der USA zurückbleiben. Beim Thema Green Finance wiederum haben wir Europäer viel zu bieten.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen auf diesem Weg in den nächsten Jahren?

Für mich besteht die größte Herausforderung darin, die notwendigen Innovationsschritte zu vollziehen und dabei gleichzeitig den sozialen Frieden zu bewahren. Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir müssen in den kommenden Jahren hunderte von Milliarden Euro für Investitionen im Bereich der Klimaneutralität aufbringen. Das wird in anderen Bereichen zu Verdrängungswettbewerben führen. Damit dies akzeptiert wird, sind sehr viel mehr Erklärungen notwendig, aber auch Ermutigungen, die von Fachleuten und der Politik kommen müssen. Die aktuellen Zahlen aus dem Weltklimabericht zeigen einmal mehr, wo wir im Rückstand sind gegenüber den Zielen allein für 2030. Um diesen aufzuholen, brauchen wir einen Ansatz mit starker Innovationstätigkeit.

Wie gehen Sie diese Herausforderungen an, und welchen Zeithorizont haben Sie sich dafür zugrunde gelegt?

Als EIB sind wir in einer relativ günstigen Situation mit Blick auf die Mitnahme der eigenen Leute: Wir haben schon 2019 unsere Climate Bank Roadmap und die New Energy Lending Policy auf den Weg gebracht. Aber was wir auch begreifen müssen, ist, dass wir die finanziellen Mittel für die enormen notwendigen Investitionen mit passenden Finanzinstrumenten bereitstellen müssen, die unterschiedlichen Ausgangspunkten und unterschiedlichen Übergangsbedürfnissen gerecht werden: Während einige Teile der Wirtschaft zur Eindämmung des Klimawandels beitragen, gibt es andere, die dies derzeit nicht aktiv tun, aber dennoch mit der Klimatransition vereinbar sind. Andere Wirtschaftstätigkeiten können dem Klima erheblich schaden: Hier brauchen wir Verbesserungen – und falls dies nicht möglich ist, müssen solche Aktivitäten beendet werden. Gerade dabei dürfen wir die betroffenen Menschen nicht aus den Augen verlieren. Ich habe darüber in den vergangenen Jahren viele und auch lange Gespräche mit Premierministern diverser Länder geführt. Sie müssen auf dem Weg dabei sein. Und eines muss allen Beteiligten ganz klar sein: Nicht jeder Mitarbeiter, der seinen Arbeitsplatz verliert, wird nach ein paar Monaten CEO eines digitalen Start-ups sein. Dieser Übergang ist ein mehrdimensionaler Prozess.

Welche Herausforderungen bzw. Probleme lassen sich auf kurze Sicht womöglich erstmal nicht oder nur sehr schwer lösen?

Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir nicht alles von heute auf morgen verändern können, sondern Zeit brauchen werden. Als Erstes müssen wir die Angst überwinden, dass das alles zu kompliziert ist, denn Angst hilft nicht weiter. Und dann geht es um kluge Regulierung, gerade auch im Finanzierungsbereich, um die richtigen Impulse zu setzen. Ziel des EU-Regulierungsrahmens ist es ja, nachhaltige Investitionen durch Kernklassifizierungskriterien zu erleichtern, die sich auf wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte konzentrieren und einfach anzuwenden und zu überprüfen sind. Dies ist allerdings weder für privatwirtschaftliche Akteure noch für Behörden leicht umzusetzen. Im Oktober 2022 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe der EU-Plattform für nachhaltige Finanzen ihre Empfehlungen für die EU-Kommission in einem Bericht zu Daten- und Nutzbarkeitsproblemen im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie. Eine Herausforderung ist die immer noch uneinheitliche Anwendung der Taxonomie-Verordnung durch die Politik der Mitgliedstaaten; eine weitere ist die fehlende Übereinstimmung wichtiger Teile des EU-Regulierungsrahmens mit der Taxonomie-Verordnung; zudem die schwierige Anwendbarkeit einiger neuer Do-Not-Significant-Harm-Anforderungen und die Behandlung von Aktivitäten, die noch nicht in den Anwendungsbereich der Taxonomie fallen. Dieser letzte Punkt kann verallgemeinert werden: Bisher lag der Schwerpunkt der Taxonomie auf dem wesentlichen Beitrag zu grünen Zielen. Technische Bewertungskriterien dafür gibt es erst im Bereich Klima. Im Verlauf dieses Jahres sollen sie für andere grüne Bereiche ergänzt werden. Dieser Ansatz kann auch auf andere Wirtschaftstätigkeiten ausgeweitet werden, wie von einer weiteren Arbeitsgruppe der Plattform unter dem Vorsitz der EIB vorgeschlagen worden ist: Dabei geht es beispielsweise um Aktivitäten, die keinen wesentlichen Beitrag leisten, aber auch keinen signifikanten Schaden an Nachhaltigkeitszielen verursachen und daher ökologisch nachhaltig sind.

Was sind für Sie die größten Chancen bei diesem Transitionsprozess?

Die Chancen für uns Europäer bestehen darin, dass wir unseren Wettbewerbsvorteil in grüner Innovation und grünen Finanzen jetzt noch nutzen und somit relativ zügig in diesen Transformationsprozess gehen können. Die EIB ist die EU-Bank. Sie führt die praktische Expertise in den Bereichen Kreditvergabe, Emissionstätigkeit und Projektbewertung zusammen und steht in ständigem Dialog mit Behörden, internationalen Investitionsbanken, Investoren, Wirtschaftsprüfern sowie der Zivilgesellschaft. Auf dieser Stärke kann sie aufbauen und zwischen den regulatorischen Anforderungen und der tatsächlichen Bereitschaft und Fähigkeit der Kreditnehmer, diese Anforderungen zu erfüllen, vermitteln. Die EIB kann also in der Finanzierung des Übergangs zur klimaneutralen Wirtschaft eine entscheidende Rolle spielen, um die hohen Ziele zu operationalisieren, die EU-Standards an lokale Gegebenheiten anzupassen und in Projekte zu übersetzen. Öffentliche und private Investitionen werden so in Europa erleichtert.

Wo liegen die größten Risiken?

Die größten Risiken liegen für mich als natur- und ingenieurwissenschaftlichem Laien darin, dass man auf einem bestimmten Gebiet oder bei einer neuen technischen Entwicklung das Entstehen von neuen Risiken nicht bewertet und dann auch nicht frühzeitig hierüber informiert. Wir haben alle immer noch riesige Wissenslücken. Zudem kann die laufende und fortschreitende Klärung von Übergangsmaßnahmen, die durch die EU-Gesetzgebung für nachhaltige Finanzen in Gang gesetzt wurde, den Regulierungsrahmen aufweichen. Das würde die Marktkräfte entmutigen. Der Markt für grüne Anleihen ist ein gutes Beispiel für die allgemeine Entwicklung hin zu nichtfinanzieller Offenlegung. Der kommende EU-Standard für grüne Anleihen – kurz EUGBS – schreibt vor, dass die Erlösverwendung an der EU-Taxonomie ausgerichtet werden muss. Allerdings sind die zur Beurteilung notwendigen Informationen in der Wirtschaft derzeit nur teilweise verfügbar. Es ist realistisch zu erwarten, dass der EUGBS zunächst ein Referenzwert zur Klärung des Status quo, der Ziele und der Verbesserungsstrategien des Emittenten sein wird. Klassifizierungs-, Zuordnungs- und Berichtsrahmenwerke können zu diesem Ziel beitragen, wenn sie übersichtlich strukturiert sind.

Welche Vermögenswerte bzw. Assets werden Ihrer Meinung nach am stärksten von dem Transition-Prozess profitieren?

Das ist natürlich die ganz große Frage, die uns praktisch alle beschäftigt – im Kapitalmarkt, in den Institutionen, bei den Regulierern. Und bei der Antwort bewegen wir uns sicher auch mal im Bereich des Wunschdenkens, und da schließe ich mich selbst mit ein. Zunächst ist es wichtig, klar zwischen zuverlässig klassifizierten und nicht zuverlässig klassifizierten Vermögenswerten zu unterscheiden. Wenn die nichtfinanziellen Angaben auf klare und brauchbare Weise ausgearbeitet wurden, werden Erstere von den Märkten mit geringerer Unsicherheit assoziiert und von einer effizienteren Preisgestaltung profitieren, wenn alle Bedingungen gleich sind. Dies ist unabhängig von der Art des Vermögenswerts und unterstreicht die Bedeutung einer brauchbaren Taxonomie und einer zuverlässigen Berichterstattung, um die Marktkräfte in den Dienst des Übergangsprozesses zu locken und zusätzlich die Unterstützung der Zivilgesellschaft zu gewinnen. Wenn dies gelingt, dürften die Vermögenswerte, die als erste vom Übergang profitieren, diejenigen sein, die mit wirtschaftlichen Aktivitäten zusammenhängen, die wesentlich zur Eindämmung des Klimawandels beitragen oder dies in Zukunft tun werden, einschließlich Forschung, Innovation und Entwicklung neuer Technologien.

Welche Vermögenswerte/Assets werden nicht profitieren und zu sogenannten Stranded Assets werden?

Wir können davon ausgehen, dass sich die Investitionen der kommenden Jahre nicht nur auf kohlenstoffarme Projekte konzentrieren. Maßnahmen sind auch in all jenen Bereichen erforderlich, die derzeit Schaden anrichten, ihre Leistung jedoch auf ein akzeptables Niveau verbessern können. Die Vermögenswerte, bei denen dieser Übergang nicht möglich ist, werden schließlich zu Stranded Assets, zum Beispiel ineffiziente Kohlekraftwerke ohne CO2-Minderung. Die Risikobewertung muss dynamisch und vorausschauend sein: Da Kriterien und Leistungsstandards im Laufe der Zeit strenger werden, können Risiken, die derzeit nicht sichtbar sind, plötzlich auftauchen. Eine weitre Schwierigkeit besteht darin, dass sich die Entscheidungsparameter im Laufe der Zeit entwickeln und damit auch veränderte Bewertungen erfordern.

Welche neuen Finanzierungsformen bzw. Finanzierungsinstrumente brauchen wir, um den Transition-Prozess zu realisieren?

Wir haben eine Riesenlücke in der Innovationsfinanzierung im Allgemeinen in der westlichen Welt und in Deutschland und Europa ganz besonders. Was wir brauchen, ist mehr Rückenwind für innovative Unternehmen, ob nun mit Venture Capital oder anderen Instrumenten. Man muss bei nachhaltigen Finanzierungsinstrumenten das Rad nicht neu erfinden. Vielmehr sollten bestehende Instrumente verstärkt einen direkten und transparenten Bezug zur Realwirtschaft auf Basis klarer politischer Signale herstellen. Eine angemessene externe Prüfung und Versicherung sollte die Qualität und Zuverlässigkeit der bereitgestellten Informationen über die Verwendung der Erlöse ungeachtet des Finanzierungsinstruments stärken. Ich bin überzeugt, dass grüne, soziale und nachhaltige Anleihen mit dezidierter Verwendung der Erlöse eine zunehmende Rolle für die Förderung der Effizienz von Anlageentscheidungen auch in anderen Produktsegmenten spielen werden.

Was ist Ihr größter Wunsch in Sachen Transition zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Mehr Mut! Wir brauchen einfach mehr Mut, um diesen Übergang anzugehen. Die grüne Transformation muss nun endlich und aufrichtig als Geschäftschance und nicht als regulatorische Belastung oder reines Kommunikationsmittel erkannt werden. Sobald dies der Fall ist, können sich die Finanzmärkte zu einem äußerst wirksamen Instrument der Veränderung im Dienst der Gesellschaft als Ganzes entwickeln. Diese Entwicklung brauchen wir dringend.


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