Nachhaltigkeit

Transition Finance krempelt Finanzmärkte um

Der Übergang zu einer grünen und nachhaltigen Realwirtschaft steht für die Finanzmärkte in den kommenden Jahren im Fokus. Welche Facetten die Transition hat, beleuchtet die Börsen-Zeitung in einer Serie mit internationalen Finanzmarktakteuren.

picture alliance / Zoonar | Aleksandr Khakimullin

Transition Finance wird die Entwicklung der internationalen Finanzmärkte in den nächsten Jahren dominieren. Es geht darum, wie die Realwirtschaft den Übergang hin zu einer grünen, klimafreundlichen sowie sozialen und damit nach­haltigen Welt realisiert. Dieser Entwicklungsprozess beinhaltet enorme Umwälzungsprozesse – vor allem bei Unternehmen, aber auch beim Staat. Hinzu kommen die Umwälzungen, die auch bei Banken, Assetmanagern, Versicherern, die nicht unerhebliche Summen an Kapital anzulegen haben, und bei anderen institutionellen Anlegern wie etwa Pensionsfonds oder Zentralbanken wirksam werden – mit einem spürbaren Einfluss auf das Anlageverhalten der Investoren und damit die Finanzierungsstrukturen der betroffenen Institutionen.

Die Anfänge für diesen Prozess – er wird die 6. Kondratieff-Welle und damit grüne Welle genannt (vgl. Grafik) – sind lange gemacht, und zwar schon vor rund 16 Jahren. Den Grundstein legte die Europäische Investitionsbank (EIB) in Luxemburg. Sie emittierte Anfang Juli 2007 ihre erste grüne Anleihe (Klimaschutzbond). Die Anleihen laufen unter dem Namen Climate Awareness Bond (CAB). „Anfangs wurden wir für das Unterfangen der EIB von manchem ein wenig belächelt“, weiß EIB-Präsident Werner Hoyer. Aber es ist so gelaufen wie mit vielen Neuerungen, denen zunächst kaum einer etwas zutraut: Oft wird daraus eine Erfolgsgeschichte. So war es denn auch mit den Green Bonds. Die EIB entwickelte das Marktsegment ausgehend von Luxemburg über die skandinavischen Länder, die ebenfalls vor rund anderthalb Jahrzehnten im Vergleich zu anderen Ländern schon ein sehr ausgeprägtes Verständnis für Klima- und Umweltschutz hatten und damit für die Finanzierungsbelange derselben.

Vordefinierte Verwendungen

Der Markt wurde immer größer. Es waren aber eben nicht nur die Green Bonds, die den Markt vorantrieben. Bei den Green Bonds handelt es sich um Anleihen, deren Erlöse zweckgebunden investiert werden, sogenannte Use-of-Proceeds-Bonds. Das bedeutet: Im Gegensatz zu einer konventionellen Unternehmensanleihe, deren aufgenommene Gelder „für allgemeine Unternehmenszwecke“ eingesetzt werden können, müssen die Gelder aus einer grünen Anleihe vordefinierten grünen Verwendungen zugeführt werden. Das war neu und kam bei weiten Anlegerkreisen sehr gut an, wie die Entwicklung in den Folgejahren zeigte. Gerade die sogenannten Millennials, also die einige Jahre vor der Jahrtausendwende geborenen Menschen, setzen sehr auf diese Anlageform. Geld soll für sie nicht nur eine finanzielle Rendite bringen, sondern der Einsatz des Geldes soll auch einem Zweck zugute kommen, d. h. etwas bewirken.

Es blieb nicht nur bei Green Bonds. Es kamen zweckgebundene Anleihen für soziale Aspekte (Social Bonds) und nachhaltige Anleihen (Sustainability Bonds), und nicht zu vergessen die Sustainability-Linked-Bonds (SLBs), also Anleihen, deren Zahlungen mit Performance-Indikatoren verbunden werden. Der Markt wuchs in den Folgejahren rasant. Ständig wurden Meilensteine aufgestellt. Rekordorderbücher waren keine Seltenheit.

Prozessleitlinien durch Principles

Der Markt reagierte aber auch in anderer Hinsicht sehr schnell, und zwar mit Blick auf die Regulierung. Die internationalen Marktteilnehmer, also Banken, Assetmanager etc., zusammengeschlossen in der International Capital Market Association (ICMA) riefen die Green Bond Principles (GBP) ins Leben. Dies sind freiwillige Prozessleitlinien zur Emission von Green Bonds mit ihren vier Kernkomponenten: Verwendung der Emissionserlöse, Prozess der Projektbewertung und -auswahl, Management der Erlöse und Reporting. Auf diese simplen Vorgaben reduziert bekam der Markt ein freiwilliges Korsett, das Anerkennung fand und den Markt vorantrieb. Der Markt mündete Jahre später unter dem Einfluss der EIB und der ICMA in der EU-Taxonomie für Green Finance und einen Green Bond Standard.

Seitdem herrscht im Markt eine immer stärkere Regulierung vor, und mancher befürchtet, dass genau diese Regulierung im Prozess des Übergangs zu einer grüneren und nachhaltigen Realwirtschaft (Transition Finance) und damit der Finanzmärkte zu einer Art Chaos im Sinne einer Überregulierung werden könnte, das die Entwicklung mehr hemmt, als ihr zu nutzen. Eine grüne Anleihe muss eine grüne Anleihe auch tatsächlich sein, sie darf nicht nur grün angestrichen sein. Aber für grüne, soziale und nachhaltige Investments braucht man vielleicht nicht immer wieder neue Vorgaben – von der Regulierungsseite. Auch das gibt man im Markt zu bedenken. Davon ist aber auch eines ganz klar zu trennen: Green und Sustainable Finance darf nicht zum Marketing-Gag verkommen. Grüne und nachhaltige Finanzprodukte müssen ihren Anspruch erfüllen und dürfen via Marketing nicht zum Etikettenschwindel werden – das zöge einen irreparablen Marktschaden nach sich.

Das Volumen des Marktes grüner, sozialer und nachhaltiger Anleihen kletterte im Laufe der Jahre rasant. Aktuell stehen laut Environmental Finance Data Anleihen dieser Art im Gesamtvolumen von gut 3,3 Bill. Dollar aus (die Billion im deutschen Sinn). Und der Markt macht gemessen am gesamten Markt der festverzinslichen Anleihen Schätzungen zufolge einen Anteil im höheren einstelligen Prozentbereich aus. Das zeigt, welches Entwicklungsvolumen der Markt noch hat. Auch die Covid-19-Krise tat dieser Entwicklung keinen Abbruch – im Gegenteil, wie sich in der Pandemie herausstellte. Die EU wurde in dieser Zeit zum großen Emittenten sozialer Anleihen – mit Ordervolumina, die bis dato keiner gesehen hatte. Sie erreichten Rekorde. Die Covid-19-Krise führte der Investorenöffentlichkeit und nicht nur dieser die Wichtigkeit der Belange von grünen, aber eben auch sozialen und damit nachhaltigen Projekten ganz unmittelbar vor Augen. Das verlieh dem Markt nochmals Schub.

Breites Spektrum

Ein weiterer Meilenstein wurde im Jahr 2016 im Geburtsland von Green Finance, dem Großherzogtum Luxemburg, gesetzt, als die dortige Börse die Luxembourg Green Exchange (LGX) ins Leben rief. Binnen kürzester Zeit erlebte sie einen steilen Aufstieg, was Listings betraf. Heute wird jede zweite grüne, soziale bzw. nachhaltige Anleihe, die weltweit von Emittenten begeben wird, an der LGX gelistet. Und längst sind es emittentenseitig auch nicht mehr nur staatliche oder staatsnahe Emittenten, die sich in diesem Universum tummeln. Banken und Unternehmen sind seit vielen Jahren ebenfalls mit von der Partie. Anleger haben also ein breites Spektrum an Adressen, in das sie investieren können und damit ihre Portfolios diversifizieren. Hinzu kommt, dass Assetmanager in den vorigen Jahren zahlreiche Produkte aufgelegt haben. Man sollte aber genau hinsehen, ob das Produkt letzten Endes hält, was es verspricht. Labels helfen weiter. Denn viele Adressen möchten auf den Zug aufspringen, nutzen den Trend aber nur dazu, Produkte einfach umzuetikettieren, sie also nur grün anzustreichen. Das ist dem Prozess Transition Finance nicht dienlich. Denn kommt einmal ein Greenwashing-Fall auf, richtet dieser erheblichen Schaden an Markt und Akteuren an, die es ernst meinen. Allerdings sollte – so mahnen Experten – nicht alles gleich als Skandal tituliert werden. Zurückhaltung ist mitunter wohl eher angebracht als vorschnelle Beschuldigungen.

Neue Finanzierungsprodukte

Das Investmentuniversum für Anleger ist aber nicht nur in Sachen Adressen und Produkten sehr groß, der Markt hat in den nächsten Jahren auch volumenmäßig ein gewaltiges Wachstum vor sich. So geht etwa die Global Sustainable Investment Alliance davon aus, dass das weltweite Investmentuniversum im Bereich nachhaltiger Anlagen rund 35 Bill. Dollar beträgt. Ein Vergleich: Das ausstehende Volumen der Bundeswertpapiere liegt bei 1,77 Bill. Euro. Es ist davon auszugehen, dass das Sustainability-Investmentuniversum in den nächsten Jahren noch viel größer wird. Denn alle Übergangskosten, die noch erforderlich sein werden und damit über Finanzierungen gestemmt werden müssen, sind sicher noch nicht bekannt und damit auch noch nicht in ihrer endgültigen Größe quantifiziert.

Transition Finance wird in den kommenden Jahren auch neue Finanzierungsprodukte hervorbringen, wobei hier die Meinungen der Experte über die tatsächliche Bandbreite neuer Produkte noch weit auseinandergehen. Lässt sich wirklich alles mit grünen und nachhaltigen Investmentvehikeln stemmen, die wir heute kennen, fragen sich die einen und meinen, dass neue Investmentformen notwendig sind. Gedacht wird hier häufig an Formen der Kombination von öffentlichen und privaten Geldgebern mit unterschiedlicher Verlustpartizipation, also Rangfolgen der Bedienung. Das wird laut Experten in den kommenden Jahren eine spannende Diskussion und Entwicklung geben.

Transition Finance hat aber auch noch viele andere Facetten. Das beginnt bei der reinen Definition: Was verstehen wir unter der Übergangsfinanzierung? Die Antworten fallen nicht immer gleich aus, sondern variieren nach Art der Institution. Die Börsen-Zeitung wird sich in einer Serie zu Transition Finance in den kommenden Wochen mit dem vielschichtigen Thema auseinandersetzen und damit seine vielen Facetten aufzeigen. Welche Herausforderungen kommen auf Beteiligte der Realwirtschaft der Finanzmärkte zu? Welche Probleme gilt es zu lösen, welche Chancen haben wir in Wirtschaft und Kapitalmärkten? Welche Probleme können wir derzeit vielleicht auch noch gar nicht lösen? Welche Vermögenswerte werden von der Transition profitieren? Welche Assets bleiben auf der Strecke und werden zu Stranded Assets? Welchen Stellenwert haben die Aktionen von einzelnen Marktteilnehmern, also z. B. das Engagement großer institutioneller Anleger wie Pensionsfonds und Assetmanager? Zu Wort kommen in dieser Serie Vertreter von EU, internationalen Verbänden, Assetmanagern, Zentralbanken, Pensionsfonds und Börsen. Sie zeichnen ein Bild, wo die Reise in Sachen Transition der Realwirtschaft und damit Transition Finance hingeht. Und dieses Bild ist ausgesprochen bunt und eben nicht schwarz-weiß und damit simpel.


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