„Nicht in Debatten stecken bleiben“

Beim Übergang zu einer grünen und nachhaltigeren Welt sollen Marktakteure nicht in Debatten stecken bleiben. Das sagt Mandy DeFilippo im Interview mit dieser Zeitung.

Auch 2021 ist Green Finance auf dem Sprung. , Dulcey Lima/Unsplash

Der Übergang zu einer grünen und nachhaltigen realwirtschaftlichen und Finanzmarkt-Welt wird Marktteilnehmer und Akteure in Unternehmen, Banken, staatlichen und halbstaatlichen Institutionen sowie Assetmanager und Versicherungen in den kommenden Jahren ganz erheblich auf Trab halten. Dabei geht es nicht nur um Definitionen von diesem Übergang, es geht auch darum, ob und wie bestimmte Herausforderungen angegangen werden können, welche Risiken damit einhergehen, welche Chancen damit verbunden sind. Was muss vielleicht doch erstmal – ohne dass man es eigentlich will – auf die lange oder zumindest etwas längere Bank geschoben werden, weil man derzeit noch keine Lösungen dafür hat. Es geht aus Sicht der Finanzmärkte – und das ist ein sehr zentraler Punkt – auch darum, welche Assets von diesem Prozess des Übergangs zu einer grüneren und nachhaltigeren Welt letzten Endes profitieren werden und welche genau das nicht tun und damit zu „stranded assets“, also gestrandeten und damit an den Kapitalmärkten vernachlässigten Vermögenswerten werden. Dafür positionieren sich Banken, Vermögensverwalter und auch andere Kapitalmarktteilnehmer wie Unternehmen, Pensionsfonds, Staatsfonds, aber auch Zentralbanken und Family Offices – nicht zuletzt auch Privatanleger.

Transition Finance – so der Fachterminus für diesen Prozess der Umwälzung – wird Realwirtschaft und Finanzmärkte sehr stark in den Griff nehmen in den kommenden Jahren. Das zeigen renommierte Vertreter von Europäischer Investitionsbank (EIB), Europäischem Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie Rettungsfonds EFSF (European Financial Stability Facility), aber auch Investmentmanager wie Allianz Global Investors (AGI) sowie Börsenbetreiber wie die London Stock Exchange, der schwedische Pensionsfonds AP7 und Politiker wie Luxemburgs Finanzministerin in einer Serie zu Transition Finance der Börsen-Zeitung auf.

EIB als Pionier

Auf europäischer Ebene treiben in Sachen Definition und Regulierung hin zu einer grüneren und nachhaltigeren Welt die Europäische Investitionsbank (EIB), die Bank der EU mit Sitz in Luxemburg, die 2007 ihren ersten Green Bond auf den Markt brachte, und die ICMA (International Capital Market Association), in der weltweit alle bedeutenden und renommierten Banken zu einer Interessenvertretung zusammengeschlossen sind, das Thema sehr stark voran, so etwa in der Taxonomie für Green und Sustainable Finance, und das nach Einschätzung von Marktteilnehmern mit großem Erfolg.

„Die unmittelbarste und wichtigste Herausforderung für uns besteht darin, den Markt für Transition zu entwickeln, ohne in Debatten über Transition-Labels und -Produkte stecken zu bleiben. Als 2019 die Idee aufkam, ein Transition-Bond-Konzept zu entwickeln, diskutierte der Ausschuss für die Grundsätze, für den die ICMA das Sekretariat führt, ob neben dem Green-Bond-Label ein eigenständiges Label für „Transition Bonds“ erforderlich sei. Der Konsens war, dass der Übergang ein Prozess auf Unternehmensebene ist, der durch gezielte Offenlegungen nachgewiesen werden sollte“, sagt Mandy DeFilippo, bis Ende Mai dieses Jahres Chair der ICMA. DeFilippo war die erste Frau an der Spitze des 55 Jahre bestehenden Kapitalmarktverbandes ICMA, und sie ist weiterhin in diversen Gremien der ICMA vertreten. Die Umstellung eines Unternehmens könne dann sowohl durch Anleihen mit Erlösverwendung als auch durch Anleihen mit Nachhaltigkeitsbezug finanziert werden, die bei Bedarf mit einem Umstellungsthema vermarktet werden. „Nachhaltigkeitsanleihen sind für die Übergangsfinanzierung besonders relevant, da der Schwerpunkt auf der Dekarbonisierung auf Unternehmensebene liegt, und werden überwiegend von Unternehmensemittenten genutzt. Ich glaube, dass eine zu ehrgeizige und international nicht abgestimmte Regulierung auch für die Übergangsfinanzierung nicht hilfreich sein wird“, führt sie im Interview mit dieser Zeitung weiter aus. Taxonomien könnten ihrer Ansicht nach beispielsweise einen enormen Beitrag zu den Dekarbonisierungsbemühungen leisten, indem sie kohlenstoffintensiven Emittenten helfen, glaubwürdige grüne Vermögenswerte in grünen Emissionen zu identifizieren, so DeFilippos Einschätzung.

Letzen Endes geht es aus Sicht der Finanzmärkte auch darum, wie die Finanzwirtschaft mit der Realwirtschaft zusammenarbeitet und dann darüber die entsprechenden Projekte stemmt, und zwar auf der Finanzierungsseite. „Es gibt mehrere, auch neue Möglichkeiten, den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu finanzieren. Zum Beispiel kann man grüne Anleihen begeben oder Kohlenstoffemissionen mit Zahlungen ausgleichen – das sogenannte Carbon Offsetting. Der Luxemburger Finanzplatz hat über die vergangenen 15 Jahre eine ganze Reihe von innovativen Instrumenten entwickelt, um Firmen und Investoren bei der Finanzierung ihrer Umstellung zu helfen“, sagt Yuriko Backes, seit Ende des Jahres 2021 Finanzministerin des Großherzogtums Luxemburg. So habe die Luxemburger Börse 2016 die Luxembourg Green Exchange, kurz LGX, ins Leben gerufen. Das ist die weltweit erste Plattform für grüne, soziale und nachhaltige Wertpapiere. Die LGX will nachhaltige Investitionen erleichtern und zum Wachstum der nachhaltigen Finanzwirtschaft beitragen. Heute wird praktische jede zweite grüne, soziale oder nachhaltige bzw. nachhaltigkeitsgebundene Anleihe, die weltweit emittiert wird, an der LGX gelistet.

Und natürlich geht es für die Finanzmärkte in den kommenden Jahren auch darum, welche Vermögenswerte (Assets) von diesem Wandel profitieren werden. Die Meinungen unter Experten gehen darüber auseinander, zumindest ein wenig. „Um einen globalen Temperaturanstieg von über 1,5°C zu verhindern, müssen Zechen und Ölfelder in Zukunft stillliegen. Der Nichtabbau dieser fossilen Energieträger wird logischerweise wirtschaftliche und soziale Herausforderungen mit sich bringen, da heutzutage immer noch ganze Wirtschaftszweige von fossilen Rohstoffen abhängen. Investitionen, die den Klimawandel nicht überstehen können, werden in den nächsten Jahren meiner Meinung nach an Wert verlieren“, sagt Backes. Es sei jedoch schwer zu sagen, welche Vermögenswerte vom Wechsel zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft am meisten profitieren werden, weil dieser Wandel mit vielen Fragezeichen versehen sei. Sektoren wie erneuerbare Energien und Wasserinfrastruktur würden sehr wahrscheinlich davon profitieren können. „Diese Branchen helfen auch dabei, den Klimawandel zu bekämpfen und Energiekosten zu senken. Zahlreiche Faktoren spielen bei einer Neubewertung eine Rolle“, führt sie weiter aus.

Kohle als Stranded Asset?

„Stranded Assets sind vergangene Zeugen der wirtschaftlichen Evolution. Es gibt Beispiele dafür, was mal in anderen Industrien zum Stranded Asset wurde: Pferdewagen, Schreibmaschinen, Faxgeräte und sogar Musik-CDs. Kohle droht zum nächsten großen Stranded Asset zu werden. Wir als Unternehmen haben dazu eine klare Position, die einen Ausschluss der Kohleindustrie beinhaltet“, sagt zu diesem Thema Matt Christensen, der seit Ende 2020 Global Head of Sustainable and Impact Investing und Managing Director bei Allianz Global Investors (AGI) ist. Die Industrien, die auf Kohle basieren, würden sich über die Zeit sehr stark verändern müssen. Sehr ähnlich sei der Öl- und Gassektor. „Unsere Research- und Stewardship-Teams widmen diesem Sektor viel Zeit und Aufwand, um zu verstehen, ob die Unternehmen zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln, und um sie dann auf ihrer Transition aktiv zu begleiten“, führt er mit Blick auf die Zukunft aus.

Mit Blick auf Kapitalmarktprodukte der Zukunft sagt DeFilippo: „Wir glauben, dass nachhaltigkeitsbezogene Anleihen ein großes Potenzial haben, den Wandel voranzutreiben. Wenn die KPIs und Ziele wesentlich und ehrgeizig sind und die Erwartungen der Anleger erfüllen, sind nachhaltigkeitsbezogene Anleihen ein sehr wirkungsvolles Instrument zur Finanzierung und zum Benchmarking des unternehmerischen Wandels. Darüber hinaus glaube ich, dass die regulatorischen Initiativen zu Übergangsplänen und anderen Nachhaltigkeitsberichten von Unternehmen, einschließlich zukunftsorientierter Informationen, ein großes Potenzial aufweisen.“


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