Der schwierige Übergang zu einer grünen Finanzwelt

Transition Finance stellt Märkte und Realwirtschaft vor große Herausforderungen, die in den nächsten Jahren angegangen werden müssen. Zeit zum Abwarten sehen Experten renommierter Institutionen längst nicht mehr.

picture alliance / Zoonar | Aleksandr Khakimullin

Der Übergang zu einer grüneren und nachhaltigeren Realwirtschaft und damit auch grünen Finanzmärkten, die ihren Beitrag hierzu leisten und sich entsprechend ausrichten, wird zu einem sehr schwierigen Weg. Denn Unternehmen, aber auch der Staat und supranationale Institutionen sowie Banken und sonstige Finanzmarktteilnehmer wie Assetmanager, Zentralbanken und Pensionsfonds stehen in den kommenden Jahren vor sehr großen Umwälzungen und damit Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Fehler und Scheitern ist selbstredend einzuplanen. Transition Finance – so der Fachterminus für diesen gesamten Prozess – wird Realwirtschaft und Finanzmärkte sehr stark im Griff haben. Das zeigen renommierte Vertreter von Europäischer Investitionsbank (EIB), Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie Rettungsfonds EFSF (European Financial Stability Facility), aber auch Investmentmanager wie Allianz Global Investors (AGI) sowie der Börsenbetreiber London Stock Exchange (LSE), schwedischer Pensionsfonds AP7 und auch Politiker wie etwa Luxemburgs Finanzministerium auf.

„Riesiges Innovationsproblem“

Europa müsse begreifen, wie wichtig die europäische Integration als Instrument der Selbstbehauptung in der Globalisierung ist, hält etwa Werner Hoyer, Präsident der EIB, der Bank der EU, fest. „Wir haben ein riesiges Innovationsproblem in Europa verglichen mit unseren globalen Partnern, vor allem, weil unsere Investitionen seit Jahren hinter denen der USA zurückbleiben. Beim Thema Green Finance wiederum haben wir Europäer viel zu bieten“, sagt Hoyer. Die EIB gilt als Pionier der Green Bonds, sie hat im Jahr 2007 ihre erste Klimaschutzanleihe (sogenannter Climate Awareness Bond, CAB) emittiert und damit vor 16 Jahren eine internationale Erfolgswelle losgetreten. Für Hoyer besteht die größte Herausforderung darin, die notwendigen Innovationsschritte zu vollziehen und dabei gleichzeitig den sozialen Frieden zu bewahren. „Wir müssen die Menschen mitnehmen. Wir müssen in den kommenden Jahren hunderte von Milliarden Euro für Investitionen im Bereich der Klimaneutralität aufbringen“, führt er aus.

Und diese großen Herausforderungen lassen sich auf kurze Sicht nicht vollends lösen, sondern werden die Gesellschaft, die Realwirtschaft und die Finanzmärkte sehr viel längerfristig beschäftigen. Manche Probleme lassen sich vielleicht auch erst in ein paar Jahren lösen. Entsprechend wie Hoyer sehen auch ESM-Chef Pierre Gramegna und ESM-CFO Kalin Anev Janse die Bereitstellung von Kapital als eine entsprechend große Aufgabe an. „Die Finanzierungslücke ist ein großes Problem. Während sich der Finanzierungsbedarf bis 2050 jährlich auf Billionen von Euro beläuft, ist heute nur ein Bruchteil davon verfügbar. Die Bepreisung von Kohlenstoff ist in dieser Hinsicht ein wesentlicher Faktor“, so die Meinung von Gramegna und Anev Janse.

Sehr große Risiken

Damit einher gehen auch sehr große Risiken. „Das größte Risiko ist letztlich Untätigkeit oder unzureichendes Handeln“, so Gramegna. Es gebe physische Risiken. Das seien Risiken im Zusammenhang mit extremen Wetterereignissen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen würden. „Sie treten direkt vor unseren Augen auf, wie Stürme, Überschwemmungen, Hitzewellen und Waldbrände“, so der ESM-Chef. Gerade dieser Tage sind solche extremen Wetterereignisse wieder zuhauf zu beobachten, die mit dem Klimawandel zusammenhängen. Gerade in dieser Woche wurde Norddeutschland vom Sturm lahmgelegt. Auch Waldbrände treten wieder auf. Die extreme Trockenheit in vielen Regionen der Welt leistet hier verständlicherweise Vorschub. Experten gehen davon aus, dass diese Ereignisse in den kommenden Jahren noch zunehmen werden. Von daher ist schnelles und konsequentes Handeln erforderlich – und das betrifft auch die Bereitstellung von Kapital über die Finanzmärkte in den kommenden Jahren und Jahrzehnten.

„Fast schon zu spät“

„Mein Zeithorizont ist: Gestern!“, hält Julia Hoggett, Chefin der London Stock Exchange, in diesem Zusammenhang fest. „Wir müssen so schnell wie möglich anfangen. Für einige Dinge ist es schon fast zu spät, damit anzufangen. Das ist keine Kritik, sondern nur ein Hinweis auf die Tatsache, dass der Übergang jetzt sehr dringend ist und wir sicherstellen müssen, dass wir schnell vorankommen“, führt die LSE-Chefin weiter aus. Und manchmal habe sie das Gefühl, dass bei der Arbeit am Klimawandel das Perfekte zum Feind des Guten geworden sei.

Untätigkeit und damit das Abwarten und die damit verbundene Hoffnung, dass es für die Realwirtschaft noch genügend Zeit gibt, die Umstellung gemächlich einzuleiten, ist für viele Vertreter aus Real- und der Finanzwirtschaft ein großes Problem, das ihrer Meinung nach schnellstens angegangen werden muss. Dazu ist Motivation und Aufklärung auch auf Seiten der Finanzmärkte eine dringende Aufgabe. Kapitalmarktinstrumente wie Green, Social und Suatainability Bonds sowie Sustainability-linked Bonds, die gerade für den Umstellungsprozess bei Unternehmen in den nächsten Jahren einen immer höheren Stellenwert bekommen werden, sind dafür längst vorhanden. Sie müssen konsequent eingesetzt werden, und es muss den Unternehmen über die Finanzmärkte bei diesen Umwälzungen geholfen werden.

„Ich bin ein Optimist und neige dazu zu glauben, dass es keine Herausforderung gibt, die nicht gelöst werden kann. Eine Herausforderung ist die eigene Trägheit. Viele Menschen, die Probleme sehen, bewegen sich nicht, bis andere es tun. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen immer mehr wirksame Instrumente an die Hand zu geben, damit es nicht kompliziert ist, das zu tun, was wichtig ist“, sagt Hoggett. Private oder öffentliche Märkte und die sich daraus ergebenden Disziplinen könnten die gleichen Lösungen bieten oder ergänzen, um Kapital in die richtigen Bereiche zu lenken, wie multilaterale Entwicklungsbanken und souveräne Abkommen oder zwischenstaatliche Gespräche – so Hoggett.

Umdenken bei Firmen

Gerade der schwedische Pensionsfonds AP7 setzt sich mit einen eigenen Investitionsaktivitäten an den Finanzmärkten sowohl auf der Equity- als auch auf der Fixed-Insome-Seite sehr hart für Transition Finance und damit für ein Umdenken bei den Unternehmen ein, was gerade für die Übergangsfinanzierung ein sehr wichtiger Aspekt ist. „Das ist etwas, woran wir sehr hart arbeiten, und zwar seit Jahren. Das sind zum Beispiel diejenigen Unternehmen, die gegen das Pariser Abkommen auf verschiedene Art und Weise Lobbyarbeit betreiben. Das sind also diejenigen Firmen, die wie auch immer geartete geschäftliche Gründe haben, sich nicht an der Umstellung zu beteiligen“, sagt Richard Gröttheim, der bis Anfang Juni als CEO an der Spitze des AP7 war.

Und dazu gehöre auch die Kohleindustrie. „Aber jeder weiß doch, dass wir auf lange Sicht oder sogar auch kurzfristig die Kohle loswerden werden müssen. Aber die Unternehmen dieser Branche wettern nun mal gegen das Pariser Abkommen. Wenn wir uns also darauf konzentrieren, dass diese Unternehmen aufhören, gegen das Pariser Abkommen zu wettern, können wir kurzfristig mehr erreichen. Aber es stellt uns natürlich vor ein Problem, diese Firmen letztlich auch ins Boot zu holen“, so Gröttheim. Das größte Risiko sei, dass diese Unternehmen, die heute unter klimatechnischen Aspekten schmutzig sind, erfolgreich mit ihrer Geschäftsstrategie seien und damit für alle Beteiligten einen langsameren Prozess schaffen würden. „Und das ist natürlich ein Risiko für die Gesellschaft und die Wirtschaft.“

Rasantes Marktwachstum

Der Markt der grünen, sozialen, nachhaltigen und nachhaltigkeitsgebundenen Anleihen wächst seit Jahren sehr rasant. Nach Statistiken von Environmental Finance Data ist dieses Finanzmarktsegment mehr als 3,5 Bill. Dollar schwer. Expertenschätzungen gehen davon aus, dass der Markt 2023 die Marke von 4 Bill. Dollar in Angriff nehmen wird und sogar übertreffen könnte. Experten erwarten, dass noch eine Reihe von Finanzinnovationen in diesem Segment hinzu kommen werden, die dem Prozess von Transition Finance somit nochmals zu einer Beschleunigung verhelfen werden.


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