„Das Klima steht ganz vorne auf der Agenda“

Auch Assetmanager sind in den kommenden Jahren in Sachen Transition Finance stark gefordert. Denn es geht darum, welche Assets sich in diesem Umfeld profitabel gestalten werden und welche wohl eher zu den Verlierer gehören werden. Matt Christensen von AGI zeigt im Interview der Börsen-Zeitung auf, wo die Reise für Vermögensverwalter hingehen wird.

Matt Christensen
Allianz Global Investors

Herr Christensen, wie definieren Sie aus Sicht eines Assetmanagers Transition und Transition Finance zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Transition ist eine Reise. Jede Reise braucht ein Ziel und einen Weg, um dorthin zu kommen. In diesem Fall ist der Weg nicht das Ziel. Es geht schlicht darum: Wie können wir das 1,5-Grad-Ziel schaffen? Oder mit anderen Worten, wie organisieren wir den Übergang von der derzeitigen Wirtschaft, die ziemlich kohlendioxidintensiv ist, zu einer nachhaltig widerstandsfähigen Wirtschaft und sogar Gesellschaft? Das Klima steht ganz vorne auf der Agenda, das ist der Bereich, der dringend standardisiert werden muss. Wenn man sich die Übergangsfinanzierung ansieht, geht es um Kohlendioxidemissionen. Wenn wir also über die Übergangsfinanzierung und die Umstellung des Finanzdienstleistungssystems sprechen, beginnen wir mit der Frage: Wie können wir unsere Kohlendioxidemissionen senken? Und das ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Deshalb sprechen wir von möglichen Orientierungen, von Zeithorizonten und von verschiedenen Wegen. Und dann geht es weiter zu Anlageklassen, zu öffentlichen und privaten Märkten etc. Aber kurz gesagt, geht es darum, ein Ergebnis im Auge zu haben. Es geht darum, wie wir unseren Kohlendioxidgehalt in Richtung eines 1,5-Grad-Systems senken können. Und was ist der richtige Weg dorthin mit jeweiligen Meilensteinen.

Was sind für Sie die größten Herausforderungen auf diesem Weg?

Es gibt viele. Wir müssen den Übergang planen und dann den richtigen Weg finden, um unseren Kunden zu erklären, wie man das macht. Wir haben also Ziele für eine Vision 2050 entwickelt, aber dann müssen wir uns auch Ziele für 2030 oder 2025 setzen. Die erste Herausforderung besteht also darin, die Ergebnisse, die wir anstreben, zu präzisieren und dann mit einem Zeithorizont zu verbinden. Das Ziel, das wir haben, ist langfristig, und wir versuchen, es auf einen kürzeren Zeithorizont herunterzubrechen, der aber immer noch unsere treuhänderischen Pflichten respektiert. All das sind große Herausforderungen. Es geht darum, ein langfristiges Ziel im Bereich der Übergangsfinanzierung zu erreichen, aber in einem Zeitrahmen, der sich oft an den vierteljährlichen Gewinnberichten orientiert, und das macht es sehr schwierig. Europa ist sehr darauf konzentriert, „grün zu sein“. Von der Regulierung bis zum Lifestyle, und bitte sofort. Ich kann von heute auf morgen vegan leben – aber die Wirtschaft kann nicht von heute auf morgen nur grünen Strom erzeugen. Wir versuchen unseren Kunden zu erklären, dass es nur sehr wenige Unternehmen gibt, die sich schon heute als grün qualifizieren – dass es vielmehr darum geht, grün zu werden – und das in Verbindung mit einem ergebnisorientierten Ansatz.

Wie gehen Sie diese Herausforderungen an, und welchen Zeithorizont haben Sie sich dafür zugrunde gelegt?

Zunächst einmal haben wir unsere Datenarchitektur aufgebaut sowie Methoden und Prozesse definiert. Das hilft uns bei dem Versuch, eine Übergangswirtschaft oder eine Art Net-Zero-Wirtschaft zu erreichen. Die Datenarchitektur ist das Schlüsselelement der Konnektivität über alle Vermögenswerte eines Assetmanagers hinweg. Sie ist unsere „golden source“, unsere einheitliche Informationsquelle, die wir alle gemeinsam nutzen, anstatt dass verschiedene Bereiche des Unternehmens versuchen, dies auf eigene Faust zu tun. Das ist ein entscheidender Faktor bei der Bewältigung eines schwierigen langfristigen Problems, einer langfristigen Herausforderung: Wir brauchen Daten, mit denen wir alle auf die gleiche Weise umgehen können. Der zweite Teil ist das Training. Wir haben jetzt für das gesamte Unternehmen eine auf der Einhaltung von Vorschriften basierende Schulung zu ESG, einschließlich Klima-Netto-null und 1,5-Grad-Pfadwechsel-Finanzierung eingeführt. Das heißt, dass nicht nur die Investmentexperten, sondern auch alle anderen, die hier arbeiten – etwa 2.500 Menschen – in ESG und Net Zero geschult wurden. Der dritte Teil ist die Entwicklung von Produkten, denn schließlich sind wir als Vermögensverwalter auf dem Markt für Dienstleistungen und Produkte tätig. Und so haben wir Produkte entwickelt, die die Techniken nutzen können, die wir in unserem zentralen Datenhaushalt zusammenstellen. Dies sind wichtige Leistungsindikatoren, mit denen sich die Produkte an der Netto-null-Quote oder am CO2-Fußabdruck messen können.

Welche Herausforderungen bzw. Probleme lassen sich auf kurze Sicht womöglich erstmal nicht oder nur sehr schwer lösen?

Das ist die Regulierung, die im Moment etwas Verwirrung stiftet. Es gibt eine Reihe von EU-Vorgaben für diejenigen von uns, die in Europa leben. Aber dann haben einzelne Länder begonnen, eigene Variationen und Ergänzungen zu definieren, ganz zu schweigen von den Vorstellungen außereuropäischer Regionen. Nicht alle gehen also in die gleiche Richtung, was für jeden internationalen Anbieter ein Problem ist. Ich betrachte die Verordnungen als gut gemeint, aber noch nicht gut gemacht. Für uns sind sie schwierig zu handhaben, und das liegt nicht nur an den Unterschieden, sondern auch an der Absicht der Verordnung. Es ist bei manchen Themen noch nicht einmal klar, welche Daten heranzuziehen sind, um die Einhaltung der Vorgaben zu belegen. Die Daten sind einfach noch nicht ausgereift. Es hat 20 Jahre gedauert, um sich global auf einen Rahmen für Financial Reporting zu verständigen, und bei E, S und G ist die Aufgabenstellung noch viel umfassender. Der zweite Punkt, der über die Regulierung hinausgeht, das sind die Zeithorizonte. Wenn ich ein typisches Gespräch mit einem „traditionellen“ Portfoliomanager führe, schaue ich auf kürzere Zeithorizonte. Wie haben sich Nettomargen entwickelt? Wie entwickelt sich das Geschäft im nächsten Land oder mit dem nächsten Produkt? Wenn wir über das Klima sprechen, ändert es sich nicht so schnell in Form von Quartalen. Wir gehen also von einer vierteljährlichen, sechsmonatigen, jährlichen Diskussion zu drei, fünf, sieben, zehn Jahren über, aber das funktioniert nicht immer so reibungslos.

Was sind für Sie die größten Chancen bei diesem Transitionsprozess?

Bislang haben wir mit den Kohlendioxidemissionen als Schlüsselbereich begonnen. Wie können wir sie absolut oder relativ senken? Wir können aber nicht nur über Kohlendioxidemissionen nachdenken. Wenn wir von einer Netto-null-Umstellung sprechen, bewegen wir uns jetzt in Richtung eines Konzepts, das wir „Just Transition“ nennen. Dabei geht es um einen gerechten Übergang. Wenn wir die Absicht haben, die Wirtschaft zu verändern, die Industrien zu transformieren, bedeutet das, dass sich die Arbeitskräfte neu orientieren müssen. Das bedeutet nichts anderes, als dass viele von ihnen künftig eine andere Aufgabe haben. Was die traditionelle oder alte Wirtschaft ist, kann in den nächsten fünf, zehn, 15, 20 Jahren nicht mehr derselbe Arbeitsplatz sein. Wenn wir also nur an die Kohlendioxidemissionen denken und nicht auch an die Arbeitsplätze, werden die Menschen auf der Straße gegen jede Veränderung protestieren. Wir befassen uns bei AllianzGI deshalb nicht nur mit dem Klimawandel, den planetarischen Grenzen, bei denen es um Naturkapital und Wasser, Nutzung und Biodiversität geht. Sondern auch mit der Frage eines inklusiven Kapitalismus, bei dem es um die Arbeitsbedingungen und die Art der Arbeit geht.

Wo liegen die größten Risiken?

Wir müssen eine gezielte Verschleierung und Verleugnung verhindern, besonders im politischen Diskurs. Dass der Klimawandel ein Problem darstellen wird, hat man schon vor 20 oder sogar 30 Jahren untersucht, aber die Ergebnisse drangen nur selten durch. Es gibt dann eine Art von Muster, das sich womöglich immer wieder wiederholen könnte, weil wir versuchen, eine Richtung einzuschlagen, die neue Geschäftsmöglichkeiten und neue Branchenzyklen mit sich bringt. Und es gibt Akteure, die nicht in der Lage oder willens sind, diesen Übergang leicht zu realisieren. Es ist nicht in ihrem Interesse, den Prozess zu unterstützen. Wir könnten das also als Verschleierung von Netto-null bezeichnen. Wenn man so will, ist eines der größten Risiken auch die Politik. Hier besteht Karriererisiko, weil man auf kurzfristige Wiederwahl bedacht ist. Wir brauchen als private Marktakteure die richtige infrastrukturelle Unterstützung von Börsen, Zentralbanken, Aufsichtsbehörden und politischen Entscheidungsträgern; sie alle sind gefragt.

Welche Vermögenswerte bzw. Assets werden Ihrer Meinung nach am stärksten von dem Transition-Prozess profitieren?

Wir sollten anfangen, uns auf die Chancen zu konzentrieren, und das betrifft alle Anlageklassen. Bei Anleihen gibt es schon eine lange Tradition von Green Bonds. Wir befassen uns jetzt auch mit Transition Bonds. Es gibt eine Menge Investorenappetit und Interesse, diese Art von Investmentbereichen zu entwickeln. Wenn wir an Aktien denken, gibt es eine Menge Bereiche, in denen wir unsere Engagement-Tools einbringen können. Investoren und Unternehmen können das Thema gemeinsam voranbringen, zum besten beider Seiten und der Umwelt. Darüber hinaus gibt es Mischfinanzierung aus dem Bereich der privaten und der öffentlichen Akteure. Es geht somit um Partnerschaften von privatem und öffentlichem Kapital. Hier haben wir gemeinsam mit der EIB oder der KfW die Vehikel geschaffen, um Netto-Null-Investitionen in die Schwellenländer zu bringen.

Welche Vermögenswerte bzw. Assets werden nicht profitieren und zu sogenannten Stranded Assets werden?

Stranded Assets sind vergangene Zeugen der wirtschaftlichen Evolution. Es gibt Beispiele dafür, was mal in anderen Industrien zum Stranded Asset wurde: Pferdewagen, Schreibmaschinen, Faxgeräte und sogar Musik-CDs. Kohle droht zum nächsten großen Stranded Asset zu werden. Wir als Unternehmen haben dazu eine klare Position, die einen Ausschluss der Kohleindustrie beinhaltet. Die Industrien, die auf Kohle basieren, werden sich über die Zeit sehr stark verändern müssen. Sehr ähnlich ist der Öl- und Gassektor, Unsere Research- und Stewardship-Teams widmen diesem Sektor viel Zeit und Aufwand, um zu verstehen, ob die Unternehmen zukunftsfähige Geschäftsmodelle entwickeln, und um sie dann auf ihrer Transition aktiv zu begleiten

Welche neuen Finanzierungsformen bzw. Finanzierungsinstrumente brauchen wir, um den Transition-Prozess zu realisieren?

Im Fixed-Income-Bereich haben wir bereits Transition Bonds oder grüne Anleihen. Ich kann mir durchaus auch SDG-Linked Bonds vorstellen. Wir als Anbieter müssen dafür ein wasserfestes Ring-Fencing erarbeiten, um die Integrität dieser Produkte sicherzustellen. Weiterhin geht es bei gemischten Finanzierungen um Verlustübernahmen für einzelne Parteien. Unsere institutionellen Kunden können nicht ohne Weiteres Risikokapital in Schwellenländern investieren. Wenn aber öffentliche Banken das „erste Risiko“ nehmen, dann können wir staatliche Mittel um ein Vielfaches hebeln. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir weiterhin zu einer Kategorisierung und gemeinsamen Reporting- bzw. Berichtspflichten bei vielen Themen kommen müssen. Denn wir wollen gegenüber den privaten wie auch den öffentlichen Investoren belegen, dass ihre Mittel eine positive reale Wirkung erzielen, nicht nur einen finanziellen Ertrag. Manchmal ist das einfach, etwa bei Emissionsreduzierungen im Immobilienbereich, aber oft auch sehr herausfordernd, wenn es zum Beispiel um die Erhaltung der Biodiversität geht. Wir brauchen gemeinsame Standards der Berichterstattung wie im Financial Reporting.

Was ist Ihr größter Wunsch in Sachen Transition zu einer grüneren und nachhaltigen Welt?

Ein großer Teil meiner Arbeit dreht sich derzeit darum, wie man Vorschriften auslegt. Ich wünsche mir, dass das im Laufe der Zeit weniger wird, wenn es eben auch mehr Standards gibt und das Verständnis über die gesamte Kette des Investitionszyklus hinweg größer geworden ist. So könnte ich mich wieder etwas mehr auf das Investieren konzentrieren, was ja unsere eigentliche Aufgabe ist. Dabei könnten wir interessante Ideen entwickeln, wie man über Investitionen und Nachhaltigkeit den Übergang realisieren kann – ganz im Gegenteil zu Arbeiten an der Auslegung von Vorschriften. Ich bezeichne das oft als Regulierungs-Chaos. Der zweite Wunsch ist, dass wir jüngere Charaktere mit neuen Ideen in die Branche bringen. Denn wenn ich jüngere Leute treffe, stelle ich fest, dass sie eher ein natürliches oder, wie ich es nenne, angeborenes Verständnis für die Herausforderung des Klimas, der Netto-null-Problematik und des Übergangs haben. Wir müssen also weiter die jüngeren Generationen so schnell wie möglich einbeziehen. Hier müssen wir auch nicht so viel Zeit für Erklärungen aufwenden, weil sie mit dieser Denkweise aufgewachsen sind. Die Mentalität ist schon sehr von diesem Geist geprägt. Die Realisierung dieser beiden Wünsche würde uns schon sehr weiterhelfen.


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